Freitag, 3. Februar 2006

Schwätzeralarm - eine Theaterkritik

Oh Gott. Absolute Horrorvision. Da sitzt man in der Straßenbahn und liest demonstrativ in der Zeitung, hört unkommunikativerweise I-Pod, starrt in völliger Ignoranz der anderen Fahrgäste aus dem Fenster, und dann kommen sie und setzen sich auf den Platz gegenüber – die Schwätzer.
Na? Schönes / Schlechtes Wetter heute, nicht wahr? Hören’S / Lesen’S / Sehen’S was Interessantes?
Gut. In einer Straßenbahn kann man dem ganzen aus dem Weg gehen, indem man ehest möglich aussteigt. Schlimm, wenn einem das Ganze an einem Ort passiert, wo man nicht flüchten kann, wie zum Beispiel in der Wartehalle eines Flughafens. Schlimmer, wenn der Schwätzer nicht nur übers Wetter reden will, sondern sein ganzes Leben ausbreitet. Noch schlimmer, wenn der Schwätzer ein Mörder und Vergewaltiger ist. So gesehen im Stück „Kosmetik des Bösen“ von Amélie Nothomb im Theater Drachengasse in Wien.
Wie sehr könnte der Geschäftsmann Jérôme Angust (Andreas Steppan) den unfreiwilligen Aufenthalt am Pariser Flughafen Charles De Gaulle mit der Lektüre eines an sich uninteressanten Buches genießen, wäre da nicht dieser penetrant aufdringliche Textor Texel (Oliver Huether), der ihm um jeden Preis seine Lebensgeschichte andrehen will. Trotz betonter Kaltschultrigkeit Jérômes lässt sich Textor nicht davon abhalten, von seinem ersten Mord und den darauf folgenden Untaten zu erzählen. Ein Tanz aus Abstoßung und morbider Faszination zerrt die beiden Protagonisten in einer Abwärtsspirale immer tiefer in ungeahnte Abgründe des menschlichen Geistes und letztlich an den Punkt, an dem sich ihre beiden Schicksale zu einem furiosen Linkswalzer schwindlig drehen.
So schlicht, so einfach, so genial: Zwei Schauspieler in einem Sprechstück, ohne Atem, ohne Pause, ohne Ausweg. Eine Geschichte, deren überraschende Wendepunkte süchtig nach den krausen Gedanken und krankhaften Neigungen des inneren Feindes Texel machen. Die Einheit von Raum und Zeit verdichtet auf einem Stück Niemandsland am Flughafen, auf ein Stück Nicht-Zeit beim Warten auf einen verspäteten Flug, alleinig akzentuiert durch den spärlichen Einsatz von Licht und Musik.
Wie in der Göttlichen Komödie steigt Angust immer tiefer hinab in die Höhlen und Höllen des Unbewussten, allerdings ist sein Begleiter kein humanistischer Dichter und Philosoph a là Vergil, sondern ein zynischer und getriebener Dämon. Und letztlich bleibt ihm auch der Anblick des Purgatoriums und des Paradieses verwehrt: Vor dem Kern der Erde und des menschlichen Wesens angelangt, im Antlitz des Inneren Feindes erstarrt und kapituliert Angust. Die Weltenordnung („Kosmetik“ aus dem Griechischen) des Bösen erlaubt kein Happy End.

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