Blut der heiligen Kühe

Hackbeil. Knochensäge. Fleischermesser. Alles da. Er bindet sich die Schlachterschürze um und wartet.
Dann betritt sie den Raum. Neugierig streifen ihre großen Glupschaugen die weiß gekachelten Wände, der Widerhall ihrer Hufe auf den Fliesen klingt ungewohnt. Sie lässt sich ihre Irritation nicht anmerken und schreitet in die Mitte des Raumes, mit einer Selbstsicherheit, wie sie allen heiligen Kühen zu eigen ist.
Stolz, Kraft und Arroganz strahlt sie aus, während er das Messer an ihren Hals legt. Und Gesundheit.
Und das stört ihn an ihr.
Denn sie ist, was sie scheint. Die heilige Kuh der heutigen Gesellschaft. Die Gesundheit.
Gesundheit? Warum, was ist dagegen einzuwenden? Jeder Mensch wünscht sie sich und seinen Lieben, am besten sofort, immer, bis ins hohe Alter und sowieso und überhaupt.
Klar. Was ihn dazu bringt, das Messer zu wetzen, ist die Erhebung der Gesundheit zu einem allgemeinen Heiligtum. Kaum ein Mensch, der nicht auf seine Gesundheit achtet. Sein Leben danach ausrichtet: Regelmäßig Sport betreibt. Sich ausgewogen ernährt. Zur Erholung in Thermen fährt. Alles im Namen der Gesundheit.
Beweise gefällig?
Ein Blick in die Stadt, Fitnesscenter, Tai Chi-Vereine, Sportstätten wuchern überall.
Ein Blick in Supermärkte und Drogerien, ein übermäßiges Angebot an probiotischem Mehrkornmüsli, biologischen Dinkelwaffeln, rechtsdrehendem Joghurt.
Ein Blick an den Zeitschriftenkiosk, Wellness-, Fitness- und Ernährungsmagazine boomen.
In diesen Tempeln des neuen Glaubens kaufen die Menschen Devotionalien für ihre neue Religion. Grüntee statt Kreuz. Haferflocken statt Halbmond. Vitaminkapseln statt Davidsstern. Pilates statt Buddha.
Die Priester der neuen Religion: Fitnesstrainer. Ernährungsberater. Wellnessgurus.
Und klarerweise gibt es die Spielverderber, die sich nicht an die Regeln halten. Raucher zum Beispiel sind klassische Ketzer, so was von unverschämt, die beeinflussen die Gesundheit ihrer selbst und der Menschen in ihrer Umgebung. Aber wer von denen hat noch den Mut zu sagen, ich bin stolzer Raucher? Meist hört man ein schüchternes „Ich möchte eh aufhören…!“ Guerillakampf sieht anders aus.
Wenn man bedenkt, wie viel Geld da in dieses Gesundheitssystem fließt! Und damit ist nicht das öffentlich-rechtliche Krankenversicherungssystem gemeint. Gesundheit als Staatsbürgerpflicht lautet die Devise, denn nur wer lange gesund bleibt, kann lange Steuern zahlen.
Gut. Heilige Kühe hat es in der Geschichte schon immer gegeben, die meisten waren schlimmer. Ob das nun die Vergänglichkeitsbesessenheit im Barock ist. Ob das der Nationalitätenwahn im neunzehnten und der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist. Ob das die Sucht nach Statussymbolen wie in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ist.
Alle diese ehemals heiligen Kühe haben eines gemein: Aus der Distanz wirken sie befremdlich, ja lächerlich. Auch die Gesundheit. Schon die alten Griechen philosophierten über den Wert der Gesundheit, kamen aber zu einem vollkommen anderen Ergebnis: Was schert mich mein Körper, er ist doch nur ein Gefäß für meinen Geist, und wenn er zerbricht, ist mein Geist frei.
Alles in diesem einen Gedanken. Und dass mir jetzt ja keiner als Gegenargument mit dem falschen Juvenalzitat „mens sana in corpore sano“ – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper – kommt!
Die Gesundheit ist eine neue Religion (nicht die einzige), eine heilige Kuh, ein goldenes Kalb. Und wie alle goldenen Kälber steht sie auf tönernen Beinen. Und die brechen schnell mal weg.
Er schlitzt mit dem Messer die Kehle auf. Blut spritzt aus ihrem Hals, über seine Hände, seine Schürze, sein Gesicht.
Er zündet eine Zigarette an, zieht, atmet aus. Das Blut klebt an seinen Fingern. Unabwaschbar, wie das Blut aller heiligen Kühe.
nunette - 30. Jan, 00:54

noo, samma da aba a bissl sehr auf provokation aus, luxxinger? also zumindest die schlachtermetapher is a weeeeengerl krank.

sagst ja selber, leute, die sich die gesundheit zammhaun, jammern von "eh aufhören wollen" oder "bin da halt so reingschlittert". aber der prozentsatz derjenigen, die rauchen, weil juhu, werma krank und tot und so, sind meiner einschätzung nach einige wenige, die dem jamesdean-image nachrennen. aber die sollen sich bitte wenn geht gleich ins auto setzen.

Luxxx - 30. Jan, 12:56

Ich bin gerne böse!
nunette - 31. Jan, 16:13

zwischen böse sein und provozieren um des provozierens willen ist aber ein feiner unterschied. ich finds bissl übertrieben. ja, der gesundheitswahn nervt und ist übertrieben. da hast recht. aber gesundheit und krankheit sind FAKTEN. schaumamal wiest redst wennst selbst eine heftige diagnose a la krebs oder herzmuskelinsuffizienz oder wos was ii hast.
auch provokation sollte sich in meinen augen nie unter einer gewissen respektsebene bewegen.
Luxxx - 2. Feb, 02:20

Erstens

hab ich nichts gegen Leute, die ihr Auto regelmäßig zum Check bringen, mich nerven nur die, die sich die Karre tiefer legen, den Lack polieren und Nitroverdünnung tanken; jetzt aber Schluss mit der Metapher, bevor sie noch endgültig überstrapaziert ist.

Zweitens, mit Herzmuskel trittst du bei mir ordentlich ins Fettnäpfchen...

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