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Sonntag, 12. Februar 2006

Der Tod ist ein langsamer, ruhiger Fluss

Filmkritik zu „Last Days“ von Regisseur Gus van Sant

Ein offensichtlich verwirrter Mann taumelt in Pyjama und Delirium durch einen Wald, stammelt unverständliche Worte, stolpert einen Abhang hinunter, kommt zu einem Wasserfall, springt in den Fluss – der Inhalt des ganzen Films steckt in dieser Sequenz vom Beginn: Es ist die Geschichte der Verirrung und des Abstiegs von Blake (Michael Pitt), der letztlich über den Fluss qua Jordan geht. Ein wenig überraschendes Ende angesichts der Tatsache, dass der Film eine Hommage an den Grungevater Kurt Cobain ist, der sich am 5. April 1994 eine Kugel in den Kopf jagte.
Der Plot ist nur vage an die Biographie Cobains angelehnt. In einer Landvilla verbringt Blake nach einem Ausbruch aus der Reha-Klinik seine letzten Tage mit seinen nicht minder drogensüchtigen Bandkollegen Scott und Luke und deren Freundinnen. Isoliert und autistisch schlurft Blake durch die leeren Räume des gewaltigen Gebäudes auf der Suche nach etwas, das er in seinen stotternden Mitteilungsversuchen nicht auszudrücken weiß.
Darin stellt Last Days eine angenehme Abwechslung zu den BioPics der letzten Jahre dar. Statt pseudodokumentarischen Stils steht eine stumme Beobachterkamera, statt Nirvana-Retrosounds selbstkomponierte Lieder von Michael Pitt, statt falsch verstandener Authenzität, die letztlich immer zu Verfehlung des Kerns führt, eine freies Reflektieren über Drogen und Rausch. Vielmehr bezieht sich der Film auf einen Klassiker der Drogenliteratur, Aldous Huxleys „Doors of Perception“: Der Autor des pessimistischen Zukunftsromans „Brave New World“ postuliert die Notwendigkeit des Rausches für die menschliche Existenz, da er Türen in der grauen Wand der Alltagswahrnehmung öffnet, er warnt aber vor den negativen Auswirkungen auf psychisch Labile. Auch wenn die schlichte Kamera von Gus van Sant keine Darstellung der synästhetischen Wahrnehmungsverschiebungen erlaubt, so lassen sich doch Parallelen in der Darstellung der Natur erkennen. In lang gezogenen, langatmigen, manche sagen langweiligen Kameraeinstellungen zeichnet van Sant ein elegisches Bild des Waldes rund um das Landhaus. Der Wald, im dem sich Blake wie weiland Hänsel und Gretel verirrt.
Der Wald ist nicht das einzige Element der Zeichensprache des Films. Wasser als Symbol des Todes hört man plätschern, wenn Blake im Jux und mit Gewehr durch die Schlafzimmer seiner Bandkollegen schleicht, ebenso wie kurz vor dem unvermeidlichen Finale. Zwischen diesen beiden Szenen stehen die zahllosen Versuche des Protagonisten, aus dem Dickicht hervorzubrechen. Die einzig lichten Momente in seinem Dämmerzustand sind, wenn Blake seine Einsamkeit mit den Instrumenten in die Welt schreit.
It’s a long way from death to birth.

Freitag, 3. Februar 2006

Schwätzeralarm - eine Theaterkritik

Oh Gott. Absolute Horrorvision. Da sitzt man in der Straßenbahn und liest demonstrativ in der Zeitung, hört unkommunikativerweise I-Pod, starrt in völliger Ignoranz der anderen Fahrgäste aus dem Fenster, und dann kommen sie und setzen sich auf den Platz gegenüber – die Schwätzer.
Na? Schönes / Schlechtes Wetter heute, nicht wahr? Hören’S / Lesen’S / Sehen’S was Interessantes?
Gut. In einer Straßenbahn kann man dem ganzen aus dem Weg gehen, indem man ehest möglich aussteigt. Schlimm, wenn einem das Ganze an einem Ort passiert, wo man nicht flüchten kann, wie zum Beispiel in der Wartehalle eines Flughafens. Schlimmer, wenn der Schwätzer nicht nur übers Wetter reden will, sondern sein ganzes Leben ausbreitet. Noch schlimmer, wenn der Schwätzer ein Mörder und Vergewaltiger ist. So gesehen im Stück „Kosmetik des Bösen“ von Amélie Nothomb im Theater Drachengasse in Wien.
Wie sehr könnte der Geschäftsmann Jérôme Angust (Andreas Steppan) den unfreiwilligen Aufenthalt am Pariser Flughafen Charles De Gaulle mit der Lektüre eines an sich uninteressanten Buches genießen, wäre da nicht dieser penetrant aufdringliche Textor Texel (Oliver Huether), der ihm um jeden Preis seine Lebensgeschichte andrehen will. Trotz betonter Kaltschultrigkeit Jérômes lässt sich Textor nicht davon abhalten, von seinem ersten Mord und den darauf folgenden Untaten zu erzählen. Ein Tanz aus Abstoßung und morbider Faszination zerrt die beiden Protagonisten in einer Abwärtsspirale immer tiefer in ungeahnte Abgründe des menschlichen Geistes und letztlich an den Punkt, an dem sich ihre beiden Schicksale zu einem furiosen Linkswalzer schwindlig drehen.
So schlicht, so einfach, so genial: Zwei Schauspieler in einem Sprechstück, ohne Atem, ohne Pause, ohne Ausweg. Eine Geschichte, deren überraschende Wendepunkte süchtig nach den krausen Gedanken und krankhaften Neigungen des inneren Feindes Texel machen. Die Einheit von Raum und Zeit verdichtet auf einem Stück Niemandsland am Flughafen, auf ein Stück Nicht-Zeit beim Warten auf einen verspäteten Flug, alleinig akzentuiert durch den spärlichen Einsatz von Licht und Musik.
Wie in der Göttlichen Komödie steigt Angust immer tiefer hinab in die Höhlen und Höllen des Unbewussten, allerdings ist sein Begleiter kein humanistischer Dichter und Philosoph a là Vergil, sondern ein zynischer und getriebener Dämon. Und letztlich bleibt ihm auch der Anblick des Purgatoriums und des Paradieses verwehrt: Vor dem Kern der Erde und des menschlichen Wesens angelangt, im Antlitz des Inneren Feindes erstarrt und kapituliert Angust. Die Weltenordnung („Kosmetik“ aus dem Griechischen) des Bösen erlaubt kein Happy End.

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