Lichtsonden

Dienstag, 24. Januar 2006

Blut der heiligen Kühe

Hackbeil. Knochensäge. Fleischermesser. Alles da. Er bindet sich die Schlachterschürze um und wartet.
Dann betritt sie den Raum. Neugierig streifen ihre großen Glupschaugen die weiß gekachelten Wände, der Widerhall ihrer Hufe auf den Fliesen klingt ungewohnt. Sie lässt sich ihre Irritation nicht anmerken und schreitet in die Mitte des Raumes, mit einer Selbstsicherheit, wie sie allen heiligen Kühen zu eigen ist.
Stolz, Kraft und Arroganz strahlt sie aus, während er das Messer an ihren Hals legt. Und Gesundheit.
Und das stört ihn an ihr.
Denn sie ist, was sie scheint. Die heilige Kuh der heutigen Gesellschaft. Die Gesundheit.
Gesundheit? Warum, was ist dagegen einzuwenden? Jeder Mensch wünscht sie sich und seinen Lieben, am besten sofort, immer, bis ins hohe Alter und sowieso und überhaupt.
Klar. Was ihn dazu bringt, das Messer zu wetzen, ist die Erhebung der Gesundheit zu einem allgemeinen Heiligtum. Kaum ein Mensch, der nicht auf seine Gesundheit achtet. Sein Leben danach ausrichtet: Regelmäßig Sport betreibt. Sich ausgewogen ernährt. Zur Erholung in Thermen fährt. Alles im Namen der Gesundheit.
Beweise gefällig?
Ein Blick in die Stadt, Fitnesscenter, Tai Chi-Vereine, Sportstätten wuchern überall.
Ein Blick in Supermärkte und Drogerien, ein übermäßiges Angebot an probiotischem Mehrkornmüsli, biologischen Dinkelwaffeln, rechtsdrehendem Joghurt.
Ein Blick an den Zeitschriftenkiosk, Wellness-, Fitness- und Ernährungsmagazine boomen.
In diesen Tempeln des neuen Glaubens kaufen die Menschen Devotionalien für ihre neue Religion. Grüntee statt Kreuz. Haferflocken statt Halbmond. Vitaminkapseln statt Davidsstern. Pilates statt Buddha.
Die Priester der neuen Religion: Fitnesstrainer. Ernährungsberater. Wellnessgurus.
Und klarerweise gibt es die Spielverderber, die sich nicht an die Regeln halten. Raucher zum Beispiel sind klassische Ketzer, so was von unverschämt, die beeinflussen die Gesundheit ihrer selbst und der Menschen in ihrer Umgebung. Aber wer von denen hat noch den Mut zu sagen, ich bin stolzer Raucher? Meist hört man ein schüchternes „Ich möchte eh aufhören…!“ Guerillakampf sieht anders aus.
Wenn man bedenkt, wie viel Geld da in dieses Gesundheitssystem fließt! Und damit ist nicht das öffentlich-rechtliche Krankenversicherungssystem gemeint. Gesundheit als Staatsbürgerpflicht lautet die Devise, denn nur wer lange gesund bleibt, kann lange Steuern zahlen.
Gut. Heilige Kühe hat es in der Geschichte schon immer gegeben, die meisten waren schlimmer. Ob das nun die Vergänglichkeitsbesessenheit im Barock ist. Ob das der Nationalitätenwahn im neunzehnten und der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist. Ob das die Sucht nach Statussymbolen wie in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ist.
Alle diese ehemals heiligen Kühe haben eines gemein: Aus der Distanz wirken sie befremdlich, ja lächerlich. Auch die Gesundheit. Schon die alten Griechen philosophierten über den Wert der Gesundheit, kamen aber zu einem vollkommen anderen Ergebnis: Was schert mich mein Körper, er ist doch nur ein Gefäß für meinen Geist, und wenn er zerbricht, ist mein Geist frei.
Alles in diesem einen Gedanken. Und dass mir jetzt ja keiner als Gegenargument mit dem falschen Juvenalzitat „mens sana in corpore sano“ – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper – kommt!
Die Gesundheit ist eine neue Religion (nicht die einzige), eine heilige Kuh, ein goldenes Kalb. Und wie alle goldenen Kälber steht sie auf tönernen Beinen. Und die brechen schnell mal weg.
Er schlitzt mit dem Messer die Kehle auf. Blut spritzt aus ihrem Hals, über seine Hände, seine Schürze, sein Gesicht.
Er zündet eine Zigarette an, zieht, atmet aus. Das Blut klebt an seinen Fingern. Unabwaschbar, wie das Blut aller heiligen Kühe.

Mittwoch, 21. Dezember 2005

Tiefschnee

Was war denn das für ein Abend?
Er schlägt den Kragen seiner Jacke hoch und storcht durch den Neuschnee. Kristalliner Wind beißt ihn ins Gesicht.
Menschen haben schon etwas Seltsames an sich. Vor allem, wenn die hochexplosive Mischung aus Alkohol und Hormonen aufeinander trifft. Verknallgasreaktion.
Hölzerne Finger ziehen den Kragen enger.
So wirklich verstehen tut er es nicht.
Haben die nichts Besseres zu tun? Winterliche Sentimentalität!
Hinter ihm schwarze Spuren im Schnee. Er dreht sich nicht um.

Freitag, 16. Dezember 2005

Bomben werfen

Es ist eine hohe Kunst, sagt er. Es braucht gutes Gespür fürs Bomben werfen. Gespür für die richtige Zusammensetzung, die richtige Platzierung und - last, not least - das Timing. Und Poesie.
Während jeder Mensch mit einigermaßen handwerklichem Geschick eine Bombe basteln kann und mit ein bisschen Hausverstand das richtige Setting findet, ist die Poesie dasjenige, das einen Pyromanen von einem Ästhetiker unterscheidet:
Neokonservative Artikel in einem linksliberalen Blatt. Anus-Mundi-Debatten in einer Regionalzeitung. Eine Eloge des Transzendentalen in einem positivistischen Wissenschaftsmagazin.
Die Reaktion nach der Explosion ist vorhersehbar: Allgemeiner Aufruhr, Leserbriefwelle, Gegendarstellung. Du kennst es.
Es gibt viele Gründe für die Freude am Bomben werfen.
Leute zu erschrecken.
Abzulenken.
Alteingesessenes zu zerstören.
Oder aus Liebe zur Schönheit des Destruktiven.
Pack dein Dynamit und mach dich auf, die vielen zerstörenswürdigen Dinge in Spreißeln zu sprengen!

Mittwoch, 16. November 2005

Suizid-Sorrows

Komm, setz dich her! Magst einen Kaffee? Nein? Dann vielleicht eine Zigarette?
Du denkst also über Selbstmord nach. Finde ich gut, dass du darüber reden willst. Wie lange spielst du schon mit dem Gedanken?
Du bist jedenfalls nicht allein damit. Immerhin sterben pro Jahr mehr Österreicher durch Suizid als durch Verkehrsunfälle. Und bei den Selbstmordversuchen, da kann ich nur raten, wie viele das sind. Sicher 10-mal so viele. Vielleicht sogar 20-mal. Ist aber nicht so wichtig.
Du glaubst also, dass Selbstmord eine Lösung ist. Wofür eigentlich? Siehst du es als eine Art Hilferuf? Willst du damit was in der Welt bewirken, etwa dass die Leute in deiner Umgebung umdenken? Glaubst du, dass es so nicht weitergeht, willst du eine Pause? Motive gibt es viele, sicher ist es nicht nur ein einziges. Aber für alles gibt’s auch einen anderen Weg.
Wie stellst du dir eigentlich deinen Selbstmord vor? Glaubst du, dass es Todsünde ist, weil in der Bibel steht, du sollst nicht töten, auch nicht dich selbst? Hat der Selbstmord für dich was Romantisch-Verklärtes, fühlst du dich wie der Werther im Buch von Goethe? Glaubst du an einen glitzernden Abgang, wie ihn die großen Stars mit ihren Allüren inszenieren? Ist es für dich die letzte und einzige wahre Freiheit, die der Mensch in seinem Leben hat, willst du Gott und den Tod austricksen? Das sind alles sehr schöne Vorstellungen, der Tod schaut aber anders aus.
Nehmen wir zum Beispiel erhängen. Erhängen ist die häufigste Selbstmordvariante. Nur keiner weiß, dass man locker lässig mal mindestens 4 Minuten in der Luft hängt, bevor man langsam seinen Löffel abgibt.
Oder erschießen. Ist zwar effektiver, macht aber einen Riesendreck. Und ein schöner Anblick ist das auch nicht, wenn der halbe Schädel weg ist. Und wenn du Pech hast, dann brauchst du 2 Tage zum Abkratzen, so wie der Vincent van Gogh. Arme Sau.
Oder aus dem Fenster springen. Oder vor den Zug schmeißen. Ist im Endeffekt vom medizinischen Standpunkt das gleiche, die inneren Organe werden zerquetscht, du verblutest auf dem Asphalt oder auf den Geleisen. Und wenn du Pech bzw. Glück hast und du stirbst nicht, bist du querschnittgelähmt oder kannst sonst wie körperlich behindert sein. Auch keine schöne Aussicht.
Du denkst, es gibt keine andere Lösung. Hast du wirklich an alles gedacht? Jede Hilfe in Anspruch genommen? Es gibt so viele Möglichkeiten. Und du weißt nicht, wie das Morgen ausschaut. Das Leben lauert dir in den Situationen auf, wann du es am wenigsten erwartest! Und was verlierst du, wenn du noch einen Tag wartest? Wer früher stirbt, ist länger tot. Und ob das so toll ist, hat uns noch keiner bestätigen können.
Aber wenn du reden willst, es gibt viele Leute, die dir helfen wollen und können! Hier eine Liste von ein paar Organisationen, die für dich da sind:

Telefonseelsorge
www.telefonseelsorge.at
rund um die Uhr unter der Nummer 142

Psychosozialer Dienst der Stadt Wien
www.psd-wien.at
rund um die Uhr unter der Nummer 01 / 313 30

Kriseninterventionszentrum Wien
www.kriseninterventionszentrum.at
Mo – Fr, 10:00 – 17:00 unter der Nummer 01 / 406 95 95
Oder Spitalgasse 11, 3. Stock, 1090 Wien

Schau dir das an. Denk drüber nach. Rede drüber.
Du bist nicht allein.


(und eine Sendung gibt's auch zu dem Thema)

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